16. März 2008

Der Magier und sein Rabe

Vor einem Jahr war er noch ein Unbekannter, der in einem Berner Altstadtkeller einer Handvoll Leute etwas vorzauberte. Jetzt ist Vincent Raven «The next Uri Geller» und tritt heute Abend gegen die weltbesten Mentalisten an.

«Sie haben versucht, mich zu erreichen. Was wollen Sie von mir?», schrieb Vincent Raven per SMS. Es war Frühling des letzten Jahres, wir suchten für eine Porträtserie einen «Rabenvater», als wir auf ihn stiessen. Vincent Raven, mit bürgerlichem Namen Plörer, lud in seinen Keller, in ein kleines Theater in der Berner Altstadt. Er wollte uns kennenlernen, wissen, worauf er sich einliess. «Mineralwasser?», fragte er, stellte Gläser auf den kleinen Tisch im dunklen Gewölbe, schenkte ein, begann zu erzählen. Davon, wie er als kleiner Junge in den Wald ging, stets auf den gleichen Baum kletterte, die Nähe zu den Raben suchte. Sich mit dem einen seltsam verbunden fühlte, von ihm Antworten auf seine Fragen bekam.

So sass Raven also in seinem Theater, in schwarzes Leder gehüllt, die blonde Mähne zurechtgeföhnt, nebenan in einer Hundebox Rabe Corax. Das Rabenweibchen, das Vincent Raven vor fünfzehn Jahren in Grindelwald aus einem Fischernetz befreite und seither mit ihm «tief verbunden», ja gar «verheiratet» ist. «Sie ist total eifersüchtig. Kommt mir jemand näher, Mensch oder Tier, reagiert sie aggressiv.» Und wie der Magier so sprach, wirkte er ein bisschen schräg, sonst aber ziemlich normal, hier ein etwas unkorrekter Ausdruck, dort ein verrutschtes Wort. Wenig von dem Gruseln, von der Düsterheit, die er auf der Website androhte. Selbst wenn er von blutenden Tischen und seinem Kontakt zum Jenseits erzählte, glaubte man eher sein unbändiges Interesse am Übersinnlichen denn seine schwarze Seele zu spüren. Dann öffnete er die Rabenbox, hiess Corax ihm zu helfen, eine Karte zu erahnen. Der Versuch misslang, Raven ärgerte sich, «Scheisse», sagte er, «es hat nicht funktioniert».

Dreiviertel Jahre später, in der Pro7-Show «The next Uri Geller», funktionierte es. Vincent Raven, einer der auserwählten Mentalisten, steht auf der Bühne in einem schwarzen Ledergewand, das bis zum Boden reicht, liest bei flackerndem Feuer aus einem dicken Buch: «Wenn die Nächte am finstersten sind, wenn die Unwetter am wildesten toben, dann berühren sich die Welten.» Seine Stimme bebt, an seinem Zeigefinger prangt eine spitze, silberne Verlängerung. «Kein Gedanke wird jemals wieder vor dem Geisterraben und dem Magier verborgen bleiben.» Dann bittet er Lena zu sich, eine Blondine mit tiefem Ausschnitt und hochhackigen Schuhen, drückt ihr fünf Karten in die Hand, Sonne, Mond, Magier, Welt und Tod. Welche Karte diese junge Frau wohl wählen wird? Raven sinkt in sich, beschwört seinen Raben, diesmal ist es Asael, in henochischer Sprache. Dann zu Lena: «Die Sonne! Du hast die Sonne gewählt.» «Ja», sagt sie, «ja, es stimmt.» Die Menge applaudiert, doch Ravens Hand schnellt nach vorne: «Der Rabe hat Angst», herrscht er das Publikum an, «ich bitte euch!» Ruhe kehrt ein. Im Finale lässt sich Raven in einen von drei Särgen einnageln und zwei davon von einer Unwissenden anzünden, was dem Publikum zu gefallen scheint, es wählt ihn zum Sieger der Fernsehshow. Er wird «The next Uri Geller», Nachfolger des legendären Löffelbiegers, gewinnt 100 000 Euro und ist fortan das, wovon er im letzten Frühjahr, am kleinen Tisch vor seinem Mineralwasser, nur träumen konnte: prominent. Er, der bislang meist vor einer Handvoll Leute in seinem Berner Altstadtkeller aufgetreten war, ist nun in aller Munde und vielen Zeitungen. Auf E-Mails reagiert er nur noch so: «Hallo, wir freuen uns über jede Nachricht. Doch leider können wir nicht alle E-Mails persönlich beantworten. Herzlichste Grüsse, die Raben Corax, Odin, Asael & Vincent, shemhamforasch, Gesundheit und Glück sei mit Ihnen.»

Quelle: Der Bund

Keine Kommentare: