16. März 2008

Corax und Vincent Raven

«Corax ist mit mir verheiratet. Kolkraben sind monogam, sie hat mich als Partner gewählt. Einen Ring am Fuss wollte sie zwar keinen, den hat sie vor meinen Augen abmontiert. Dabei war es ein schöner keltischer, den ich ihr schenkte, aber das war ihr egal.»

«Corax ist total eifersüchtig, sie will mich ganz für sich allein. Wenn mir jemand näher kommt, ob Tier oder Mensch, reagiert sie aggressiv.

Sie kam vor fünfzehn Jahren zu mir. Ich war mit meinen Hunden an einem Bach in Grindelwald unterwegs, als ich den Raben in einem Fischernetz entdeckte. Ich befreite ihn und sah, dass sein Fuss verletzt war. Zum Glück hatte ich eine Schachtel im Auto, packte den Raben hinein und fuhr zum Tierarzt. Der sagte: ,Eine überdehnte Sehne am Flügel und Antibiotika für den Fuss.‘ Also nahm ich den Raben nach Hause und pflegte ihn. Nach einer Woche liess ich ihn frei. Er flog davon, so weit, bis er nur noch ein schwarzer Punkt war. Doch dann kehrte er um, landete genau vor meinen Füssen und verneigte sich. Das ist mir total eingefahren. Von da an blieb der Rabe bei mir.

Ich nannte ihn Corax. Weil ich noch nicht wusste, dass er ein Weibchen ist. Aber das macht ja nichts. Corax ist ein spezieller Vogel. Sie spricht, kann die Zukunft deuten und kennt die Vergangenheit. Das ist echt wahr. Ich dressiere sie nicht, bei uns läuft alles über Vertrauen. Ich richte mich nach ihr, nach dem, was sie will. Wenn ich ein Tarot lege, will sie die Karten ziehen. Das ist genial.

Ich bin Magier. Das Übersinnliche, das Mystische fasziniert mich. Die Leute gruselt es, wenn ich Tische bluten lasse und Fragen aus dem Jenseits beantworte. Corax hilft mir dabei. Manchmal dreht sie Runden über den Köpfen der Zuschauer. Sie scannt die Leute und checkt ihre Aura. Sie sieht eben mehr, sie kann Gedanken lesen.

Es gibt Leute, die Raben nicht mögen. Sie glauben, diese Vögel brächten Unglück. Und früher erzählte man, dass Raben aufs Hausdach klopfen und so den Tod ankündigen. Und natürlich dieser Film – ,Die Vögel‘ von Hitchcock. Alle sagen, das seien Raben. Dabei sind es gar nicht Raben, sondern Möwen. Wegen all diesem Zeug haben die Leute dermassen Angst, dass sie die Raben vergiften. Das ist eine Schweinerei. Und macht mich verdammt sauer.

Ich will, dass sich das ändert. Ich will den Leuten diesen Vogel erklären, so dass er ihnen nicht mehr schräg reinkommt. Raben sind nämlich hochintelligente und sensible Tiere. Die Menschen könnten viel von ihnen lernen. Manchmal gehe ich in Schulklassen und erzähle über die Raben. Natürlich nehme ich Corax mit.

Als ich ein Bub war, kletterte ich auf Bäume, um den Raben nahe zu sein. Zuerst flogen sie weg, dann blieben sie. Und begannen mit mir zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir Fragen beantworteten.

Logisch, dass auch Corax und ich zusammen sprechen. Sie gibt mir oft Rat. Und manchmal leiert sie auch einfach ihre Nummern runter: fluchen, brummen, bellen und so. Volles Programm, ehrlich. Kolkraben haben von Natur aus mehr als hundert Laute drauf, zur Kommunikation mit ihren Artgenossen.

Ich verbringe viel Zeit mit Corax. Jeden Tag lasse ich sie in der freien Natur fliegen. Das braucht sie. Und das will ich ihr geben. Corax bedeutet mir extrem viel.»

Quelle: Der Bund

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